Überschreitung Großlitzner — Seehorn
Die Überschreitung Großlitzner – Seehorn gehört sicherlich zu den schönsten alpinen Gratklettereien in der Silvretta. Die Kombination aus Wandern, Klettern, Abseilen und Gletscher machen diese Tour zu einem abwechslungsreichen und unvergesslichen Bergerlebnis. Einen gemütlichen Ausklang für die Bergtour findet man auf der sonnigen Terrasse der Saarbrückner Hütte.
Los geht´s am Vermuntsee – Wandern oder E‑bike?
Ausgangspunkt für die Tour von der Vorarlberger Seite der Silvretta ist der Parkplatz am Ufer des Vermuntstausees. Diesen erreicht man über die mautpflichtige Silvretta-Hochalpenstraße. Von hier aus geht es zu Fuß über den markierten Weg in rund 2,5 Stunden hinauf zur Saarbrücknerhütte. Wesentlich bequemer als der Zustieg zu Fuß gestaltet sich die Anreise mit einem E‑bike. So lässt sich die benötigte Zeit für den Hüttenzustieg auf weniger als die Hälfte reduzieren und die Tour ist so gut als Tagestour machbar. Die eintönige Pflichtkür des Abstiegs über die Schotterstraße gewinnt mit dem Fahrrad am Ende der ohnehin schon langen Tour ebenso an Genuss.
Da sich die Runde nach der Überschreitung Großlitzner – Seehorn an der Saarbrückner Hütte wieder schließt, empfiehlt es sich bei der Anreise mit einem E‑bike dieses in der Früh gleich oben an der Hütte zu parkieren. All jenen, welche sich die komplette Tour zu Fuß erarbeiten möchten, raten wir zu einem Hüttenzustieg am Vorabend mit Nächtigung in der gemütlichen Saarbrückner Hütte. Kulinarisch wird man hier bestens verwöhnt, sodass man am nächsten Morgen entspannt und gut gestärkt in Richtung Berg starten kann.

Wir nähern uns dem ersten Tagesziel
Von der Hütte wandert man zunächst über die Schotterstraße wieder wenige Höhenmeter bergab. Über den markierten Weg geht es vorbei am ehemaligem Gletschergelände hinauf zum Litzner Sattel (2.737 m). Diesen erreicht man nach zirka 1 Stunde Gehzeit. Gerade zu Beginn der Saison und nach schneereichen Wintern ist unterhalb des Sattels mit steilen Schneefeldern zu rechnen, welche durchaus heikel sein können. Am Litzner Sattel oben angekommen kann man endlich wieder die Sonne genießen und es wird Zeit, den Gurt, den Helm und je nach Schneelage auch die Steigeisen anzuziehen. Das Seil und die restliche technische Ausrüstung werden hier ebenso aus dem Rucksack geholt.
Man verlässt nun den markierten Weg in Richtung Westen und quert über Blockgelände weglos in Richtung des kleinen Gletschers am Fuße des Großlitzners. Während man bis vor wenigen Jahren bis ans Ende des Gletscherbeckens hochgestiegen ist und dann über eine steile, erdige und brüchige Rinne (akute Steinschlaggefahr!) auf den Grat gelangt ist, gibt es dazu seit Kurzem eine wesentlich bessere Variante. Kurz vor Erreichen des Gletschers steigt man dabei in Richtung Nordwesten entlang eines Felsrückens (Steinmänner und vereinzelt Bohrhaken) auf und gelangt zum Schluss über Wegspuren und eine steile Querung (Bohrhaken) zum Ausstieg der vorhin erwähnten Rinne.
Die Kletterei beginnt
An der Gratschulter angekommen, wechseln sich zunächst Kletterpassagen mit Gehpassagen ab, bis das Gelände zusehends steiler wird. Die Wegfindung ist nicht immer ganz einfach, doch im Großen und Ganzen folgt man stets dem Gratverlauf. Abwechselnd steig man auf der einen oder anderen Seite des Grats auf. Bohrhaken sind an neuralgischen Stellen zwar vereinzelt vorhanden, aber in der Regel sichert man über die vorhanden natürlichen Sicherungspunkte (Blöcke, Felsköpfl ect.) oder verwendet mobile Sicherungsmittel wie Keile und Friends. Für ein rasches Vorwärtskommen ist in diesem Gelänge vor allem die richtige Sicherungs- und Seiltechnik entscheidend.
Unterhalb des Großlitzners beginnt dann die eigentliche Kletterei, und es muss hin und wieder ordentlich zugepackt werden. Über mehrere teils senkrechte Aufschwünge geht es in herrlichem Silvrettagneis steil bergauf. Der Fels ist griffig und die Reibung (bei trockenen Verhältnissen) perfekt – Klettergenuss pur. In der Schlüsselstelle ist dann immerhin der obere 4. Schwierigkeitsgrad gefordert und der Vorsteiger sollte sich auf Grund der weiten Hakenabstände seiner Sache sicher sein. Wer das Klettern mit Bergschuhen nicht gewöhnt ist, wird feststellen, dass sich Schwierigkeitsbewertungen von der Halle hin zum Felsen doch deutlich unterscheiden können. Schlussendlich ist man hier auch in einer anspruchsvollen alpinen Tour unterwegs.
Kurz vor dem Gipfel legt sich das Gelände wieder etwas zurück und man erreicht schließlich die Aussichtskanzel des Großlitzners (3.109 m) mit seinem atemberaubenden Panorama. Je nach Tempo und Ortkenntnissen sind es bis hierher ab der Hütte rund 3 bis 4 Stunden Geh- bzw. Kletterzeit.
Das große Abseilen startet
Wer nun dachte, dass bereits alles vorbei ist, hat sich getäuscht. Unmittelbar westlich des Gipfelkreuzes des Großlitzners beginnt an einem großen einbetonierten Ring die erste Abseilstelle. Der Blick in die Tiefe hat hier bei einigen schon für große Aufregung gesorgt. Stellenweise sogar überhängend geht es über mehrere gut eingerichtete Abseilstände (sofern man diese findet) hinunter in Richtung Hochjoch (2.980 m). Zwischen den Abseilstellen befinden sich immer wieder Geh- und Kletterpassagen. Bei größerem Andrang ist vor allem auf die Steinschlaggefahr zu achten. Die Abseilstellen vom Großlitzner sind so eingerichtet, dass ein 50 m Einfachseil ausreichend ist.
Am Weg zum zweiten Gipfelziel
Am Hochjoch beginnt der Aufstieg in Richtung Großes Seehorn. Gehgelände und leichte Kletterpassagen bis zum 2. Schwierigkeitsgrat wechseln sich ab. Je nach Jahreszeit gibt es auch noch die eine oder andere Passage im Firn zu bewältigen. Die Wegfindung ist nicht immer ganz einfach und fixes Hakenmaterial ist hier keines mehr vorhanden, sodass man auf die vorhandenen natürlichen Sicherungspunkte zurückgreifen muss. Für nicht akklimatisierte Bergsteiger macht sich hier in der Regel bereits die Höhe und die Länge der Tour bemerkbar. Nach rund 1,5 bis 2 Stunden ab dem Großlitzner erreicht man schließlich das zweite Etappenziel der Runde, das Große Seehorn (3.121 m).
Abseilen 2.0
Der Abstieg vom Großen Seehorn erfolgt – wen würde es auch wundern – wieder durch Abseilen. Mit der (hoffentlich) bereits vorhandenen Routine sollte dies jedoch kein größeres Problem mehr darstellen. Entscheidet man sich für die Abseilpiste direkt vom Gipfel, sind zwei 50 m lange (Halb-) Seile notwendig. Eine neue Abseilpiste weiter westlich kann auch mit einem 50 m Einfachseil benützt werden. Im unteren Bereich reicht das Seil jedoch meist nur sehr knapp. Man erreicht den Beginn dieser Abseilpiste über einen kurzen Abstieg Richtung Norden (ausgesetzt) mit anschließender Querung auf Bändern wieder Richtung Westen. Bei einer Tafel mit der Aufschrift „Abseilstelle“ steigt man wenige Meter wieder auf den Grat hinauf und erreicht so den ersten Abseilstand.
In mehreren Abseilfahrten geht es nun hinab in Richtung Seegletscher. Die letzten Höhenmeter hinab zum Gletscher sind wieder zu Fuß über teils unangenehmes schuttbedecktes Schrofengelände zu bewältigen. Bei starker Ausaperung ist vor allem der Übergang vom Felsen zum Seegletscher teils heikel und die Steinschlaggefahr ist nicht zu vernachlässigen. Bei Schneelage – insbesonders bei hart gefrorenem Firn – kann sich der steile Abstieg vom Seehorn ebenso als sehr anspruchsvoll herausstellen.

Angekommen auf dem Gletscher
Über den Seegletscher geht es nun in Richtung Nordwesten zur Seelücke (2.776 m), dem Grenzübergang von der Schweiz nach Vorarlberg. Während man bis vor Kurzem direkt und nahezu ohne Höhenverlust unterhalb des Nordwest-Grates des Großen Seehorns zur Lücke queren konnte, muss man nach einem Felssturz im Jahr 2022 nun weiter absteigen auf den Seegletscher, um diesen immer noch gefährlichen Bereich großräumig umgehen zu können. Der Gletscher ist nahezu spaltenlos, bei Blankeis sind Steigeisen ratsam. Oben angekommen auf der Seelücke betritt man wieder österreichischen Boden und sieht bereits die nahe Saarbrückner Hütte.
Die Rundtour schließt sich
Von der Seelücke geht es vorbei an der alten Zollhütte über den markierten Weg hinab zur Saarbrückner Hütte. Obwohl diese in greifbarer Nähe zu sein scheint, zieht sich der Weg doch etwas. Angekommen an der Hütte, schließt sich die herrliche Rundtour und man kann das Erlebte mit direkten Blick auf die beiden 3000er, Großlitzner und Gr. Seehorn, auf der sonnigen Terrasse revuepassieren lassen. Insgesamt sind für die Tour rund 7 bis 8 Stunden zu veranschlagen.
Unsere Empfehlungen
Beste Jahreszeit: Mitte Juni – Mitte Oktober
Material:
- 50 m Einfachseil (je nach Abseilpiste auch 2 x 50 m Halbseile)
- Helm, Gurt
- 2 – 3 mittlere Friends
- 6 Expressen (verlängerbar)
- Tuber
- Prusikschlinge
- 2 längere Bandschlingen
- 4 Schraubkarabiner
- Steigeisen (je nach Verhältnissen)
- Pickel (je nach Verhältnissen)
Nützliche Links:
Geführte Tour Großlitzner — Seehorn Überschreitung mit Bergführer
Bericht: Alex Klampfer, Firmalpin GmbH