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Höhlen­for­schung im Rätikon

Alex­ander Klampfer

Der Rätikon ist ein Gebirge im Grenz­ge­biet zwischen Vorarl­berg, dem Schweizer Kanton Grau­bünden und Liech­ten­stein. Umgrenzt wird das Gebiet im Westen vom Rhein und im Süden durch das Schweizer Prät­tigau. Im Osten verläuft die Grenze in Vorarl­berg vom Schlap­piner Joch entlang der Täler Schlap­pintal nach Süden und Valzi­­fenz- bzw. Gargel­lental nach Norden. Die Grenze im Norden wird vom Montafon und dem Walgau gebildet. Das Schlap­piner Joch, ein Grenz­über­gang zwischen Vorarl­berg und der Schweiz, verbindet den Rätikon mit der Silvretta, sonst ist das Gebiet von Tälern umgeben. Die höchste Erhe­bung des Räti­kons stellt die Sche­sa­plana mit 2964 m dar. Weitere bedeu­tende Erhe­bungen sind unter anderem die Zimba (2643 m), die Drei Türme (Großer Turm, 2830 m) sowie die Sulz­fluh (2817 m). Erwäh­nens­wert ist der wenige Quadrat­ki­lo­meter große Brandner Glet­scher auf der Sche­sa­plana. Den west­lichsten Ausläufer des Räti­kons bilden die Drei Schwes­tern (Haupt­gipfel 2053 m) an der Grenze zu Liech­ten­stein.

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Geolo­gisch wird der nörd­liche Teil des Räti­kons den Nörd­li­chen Kalk­alpen und der südliche dem Bündner Schie­fer­system bzw. dem Prät­­tigau-Flysch zuge­ordnet. Wich­tige verkar­s­tungs­fä­hige Gesteine sind neben unter­schied­li­chen Karbo­naten der Nörd­li­chen Kalk­alpen haupt­säch­lich der Sulz­fl­uh­kalk der gleich­na­migen Decke. Die Gesteine der Sulz­fl­uh­decke wie auch jene der Arosa-Zone oder der Bündner Schiefer werden dem Penni­nikum zuge­ordnet. Die hellen Fels­fluchten dieser bis zu mehrere hundert Meter mäch­tigen Kalkab­folge sind land­schafts­prä­gend. Die Kalke der Sulz­fl­uh­decke wurden im oberen Jura abge­la­gert, tekto­nisch mehr­fach über­schoben und errei­chen somit bis zu 600 m Mäch­tig­keit. Dieser beson­ders reine Flach­was­ser­kalk ist gut verkar­s­tungs­fähig und beinhaltet einige der bedeu­tendsten Höhlen Vorarl­bergs und der Ostschweiz. Als Beson­der­heit soll das tekto­ni­sche Abtau­chen der Sulz­fl­uh­decke im Norden unter die Arosa-Zone erwähnt werden, welche ihrer­seits von der Silvretta-Decke über­la­gert wird. Im soge­nannten Gargel­lener Fenster ist die unter­la­gernde Sulz­fl­uh­decke erosi­ons­be­dingt wieder aufge­schlossen.

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Die Entwäs­se­rung des Gebiets erfolgt heute zum größten Teil nach Norden bzw. Osten zu Karst­quellen im Brandner‑, Rells‑, Gauer‑, Gampa­­dels- und Gargel­lental, welche alle­samt in die Ill münden. Ein klei­nerer Teil der unter­ir­di­schen Wässer tritt auf der Schweizer Seite des Räti­kons im Süden wieder zutage und fließt der Land­quart zu (Wild­berger 1996, Gold- scheider & Göppert 2004). Eine der größten Quellen ist dabei die zur Wasser­ver­sor­gung gefasste Fide­lis­quelle in 1291 m Seehöhe im Gargel­lental mit einer Schüt­tung von 80 bis 600 l/s. Bekannt sind zwei Färbe­ver­suche im Gebiet, welche in den Jahren 1926 und 1968 durch­ge­führt wurden (Loacker 1971, 1988). Beim ers-ten Färbe­ver­such wurden Ponore südlich der Schei­en­fluh beprobt, wobei ein Verbin­dungs­nach­weis zu Quellen auf der Schweizer Seite des Gebiets gelang. Es wurde aber bereits damals vermutet, dass ein Teil der Karst­wässer auch zu Quellen im Gargellner Tal abfließt. 1968 wurde Uranin in eine Schwinde im Bereich der Sulz­fl­uh­höhlen (CH) einge­speist, und ein Nach­weis von unter­ir­di­schen Fließ­wegen zu Karst­quellen im Gargel­lental erbracht. Die rund 15 km² große Karst­fläche zwischen Drusen- und Rätschen­fluh, welche orogra­phisch dem Einzugs­ge­biet der Land­quart in Grau­bünden zuge­wandt ist, entwäs­sert zur Ill in Vorarl­berg.

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Höhlen­ni­veaus in rund 2400 m Seehöhe auf der Weiß­platte und Sulz­fluh sind Zeugen eines ehemals höheren Vorflu­terni­veaus und einer Entwäs­se­rung in südliche Rich­tung. Die derzeit bekannten Groß­höhlen auf bei- den Gebirgs­stö­cken könnten ehemals Teil eines hydro- logi­schen Systems gewesen sein. Diese dama­ligen phrea­ti­schen Höhlen­etagen wurden durch glaziale Erosion von ihren Einzugs­ge­bieten gekappt und durch die fort­schrei­tende Talein­tie­fung trocken­ge­legt.

Auf Grund des großen Wasser­an­ge­bots mit bis zu 2400 mm Nieder­schlag pro Jahr und der großen Reli­ef­un­ter­schiede spielt die Wasser­wirt­schaft im Rätikon – zumin­dest auf Öster­rei­chi­scher Seite – eine beson­dere Rolle. Der Lünersee am Fuße der Sche­sa­plana im Bran- der Tal ist einer der großen Spei­cher­seen Vorarl­bergs. Auf Grund seiner Schön­heit wird der Rätikon auch touris­tisch intensiv genutzt. Neben zahl­rei­chen Schutz­hütten sind große Bereiche durch Schi­ge­biete intensiv erschlossen. Große Bedeu­tung im Gebiet hat zudem die Almwirt­schaft, wobei die Weide­flä­chen bis an die Karst­ge­biete in über 2000 m Seehöhe reichen.

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Über­blick über Karst und Höhlen

Gut verkar­s­tungs­fä­hige Gesteine, vorwie­gend Kalke, treten im Rätikon in Form der Sulz­fl­uh­decke und den Nörd­li­chen Kalk­alpen auf, wobei aber sämt­liche bisher bekannte Groß­höhlen im Bereich der Sulz­fl­uh­decke liegen. Der Haupt­do­lomit, ein bedeu­tender Gebirgs­bild­nerin den Nörd­li­chen Kalk­alpen Vorarl­bergs, ist zwar wasser­wegsam, aber als Höhlen­bildner aufgrund seiner hohen Klüf­tig­keit unbe­deu­tend. Die gut verkar­s­tungs­fä­higen Sulz­fl­uh­kalke ermög­li­chen die Entste­hung viel­fäl­tiger Karst­formen (Friebe 2004). Die Karst­pla­teaus von Sulz­fluh, Weiß­platte (2628 m) und Schei­en­fluh (2625 m) sind übersät mit verkars­teten Klüften, Schächten und Karren­fel­dern. Dolinen und Ponore sind vor allem an der Kontakt­zone von verkar­s­tungs­fä­higen zu wasser­stau­enden Sedi­ment­ge­steinen anzu­treffen. Eine große Anzahl dieser Karst­formen sind im Bereich des Plas­seg­gen­passes südöst­lich der Schei­en­fluh zu beob­achten.

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Hori­zon­tal­höhlen, die teil­weise durch die Ober­flä­chen­ero­sion heute nur mehr als Höhlen­ruinen vorliegen, sind eben­falls häufig, wobei deren Eingänge zum Teil schwer zugäng­lich inmitten mehrere hundert Meter hoher Fels­wände liegen, wie in der Südwand der Sulz­fluh, in der West­wand der Kleinen Sulz­fluh (2708 m) oder in der Südwand der Kirch­li­spitzen (Haupt­gipfel 2552 m). Eben­falls stark verkarstet ist das Gebiet der Drei Türme, der Drusen­fluh (2827 m) und der Kirch­li­spitzen. Der west­lichste Ausläufer des Karst­ge­biets reicht bis zur Sche­sa­plana. Zu erwähnen ist ferner der Gips­karst in den Raibler Schichten zwischen Küngs Maisäß und dem Rell­stal, der sich durch zahl­reiche Dolinen auszeichnet.

Mit zuneh­mender Seehöhe sind vor allem auf der Sulz­fluh immer weniger Ober­flä­chen-Kars­t­­formen zu beob­achten, da diese Größ­ten­teils von glazialem Schutt verdeckt werden. Während im Bereich des Karren­feldes der Sulz­fluh auf rund 2400 m Seehöhe noch viele offene Schächte und Klüfte vorhanden sind, gleicht der Gipfel­aufbau ab rund 2600 m Seehöhe einem riesigen Schutt­feld. Die Gipfel­be­reiche von Weiß­platte und Schei­en­fluh zeigen sich hingegen weniger über­prägt. Die Gründe dafür könnten even­tuell im stei­leren Abfallen der verkars­teten Fläche liegen.

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Der Rätikon beher­bergt somit eine rund 123 km² große Karst­fläche aus Sulz­fl­uh­kalk bzw. Haupt­do­lomit in einer Höhen­lage von meist über 2200 m. Davon entfallen etwa 25 km² auf Schweizer Staats­ge­biet. Derzeit sind auf der Vorarl­berger Seite über 300 Höhlen regis­triert, wobei mehr als 15 km an Gangstre­cken und Schächten vermessen und doku­men­tiert sind. Das Tiefen­po­ten­tial der Höhlen kann mit rund 1 km ange­geben werden. Charak­te­ris­tisch für das Gebiet sind viele, haupt­säch­lich klei­nere Schacht­öff­nungen, die in Karren­fel­dern liegen. Die meisten sind in maximal 30 m Tiefe entweder unbe­fahrbar eng oder zum Groß­teil durch Schutt oder Eis- und Schnee­massen verschlossen. Grund dafür dürfte die ehema­lige Verglet­scherung und die durch die Höhen­lage verstärkte Frost­spren­gung sein. Über 2500 m Seehöhe konnten bis dato nur wenige befahr­bare Höhlen aufge­funden werden. Solche finden sich vor allem am Sulz­fl­uh­pla­teau, während auf der Weiß­platte häufiger offene Schächte vorzu- finden sind. Am Sulz­fluh-Karren­­feld konnten erst wenige bedeu­tende Höhlen aufge­funden werden. Erwäh­nens­wert sind dabei die Schen­gen­höhle (Höhle KA4) mit 323 m Ganglänge (L) und 57 m Höhen­­­unter- schied (H), der Schacht K6 (L 250 m, H –115 m) sowie die Karra­feld­höhle 1 (L 554 m, H 76 m).

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Zwischen 2200 und 2400 m Seehöhe findet man sowohl auf der Weiß­platte als auch auf der Sulz­fluh ein altes phrea­tisch entstan­denes Höhlen­ni­veau. Mehrere dieser bis zu mehrere Zehner­meter durch­mes­senden Tunnel münden direkt in die steilen Fels­ab­brüche und bilden damit inter­es­sante, wenn auch zum Teil schwierig erreich­bare Forschungs­ziele. Zudem sind diese von den ehema­ligen Glet­schern und dem Frost­bruch weniger beein­träch­tigten Hori­zon­tal­höhlen poten­ti­elle Zugänge zu größeren Höhlen­sys­temen.

Die derzeit längste und gleich­zeitig tiefste Höhle des Räti­kons (und auch Vorarl­bergs, Stand 2016) stellt das Weiß­­platten- Höhlen­system (L 3604 m, H 516 m) dar. Die zweit­längste ist die Apol­lo­höhle in der Sulz­fluh (L 3080 m, H 245 m).